Ein Quantum Zukunft

Quantencomputer

Quanten-Computer öffnen viele neue Türen in unterschiedlichsten Bereichen, z. B. bei der schnelleren Entwicklung von Medikamenten, bei der Kon­zeption nachhaltiger Verkehrs- und Energiesysteme, aber auch im Finanzumfeld mit Analysemöglichkeiten für verschachtelte Geldströme und Aktien­geschäfte. Was genau heutige Quanten-Computer tatsächlich schon leisten können, wo ihr Weg noch hingeht und welche Strategie SAP dabei verfolgt, erklärt Andrey Hoursanov, Strategy Lead for Quantum Technology beim SAP Innovation Center Network bei SAP Security Research.

Herr Hoursanov, warum werden Quanten-Computer so gehypt? Und sind sie wirklich viel schneller als herkömmliche Systeme?

Andrey Hoursanov: Den Anspruch bzw. die Annahme, dass Quanten-Computer (siehe Glossar S. 62) im Allgemeinen schneller sind als traditionelle, digitale Computer, sollten wir relativieren. Das wird wahrscheinlich nicht eintreten. Aber ein Quanten-Computer kann einige Arten von Problemen schneller lösen. Vor allem diejenigen, die allgemein als Optimierungsprobleme, wie z. B. Maschinenbelegung oder Job-Scheduling, bezeichnet werden können. Unser Universum funktioniert nach den Gesetzen der Quantenmechanik, auch wenn wir dies in unserem Alltag nicht wahrnehmen. Digitale Computer berechnen Probleme mit den Methoden unserer vereinfachten, klassischen Weltsicht, während Quanten-Computer auch die verborgenen Phänomene der Quantenmechanik miteinbeziehen und dadurch effizienter arbeiten können – das ist der Unterschied.

Welche Aufgaben konkret eignen sich nun besonders gut für Quanten-Computing?

Hoursanov: Es gibt Aufgaben, die wir mit Hilfe von Quantentechnologien effizienter durchführen können, zum Beispiel die Faktorisierung großer Zahlen, was bei manchen Verschlüsselungsverfahren und Kryptowährungen notwendig ist. Genauso aber gibt es auch Aufgaben, etwa Addieren, die wir besser mit einfachen digitalen Technologien statt mit komplizierten Quantentechnologien lösen können. Fachleute sind sich einig, dass der Quanten-Computer den traditionellen nicht ersetzen, sondern ergänzen wird, um spezifische Problemstellungen schneller zu lösen.

Wofür eignen sich Quanten-Computer in der Zukunft?

Quanten-Computer sind besonders geeignet, um verschiedene Optimierungs­prob­leme zu lösen. Ein Beispiel dafür ist das Maschinenbelegungsproblem („Job-Shop-Scheduling-Problem“). Hier ist die Frage zu beantworten, welche Fertigungs­aufträge in welcher Reihenfolge auf welche Maschinen verteilt werden. Fragestellungen dieser Art treten in vielen Geschäftsbereichen in fast allen Industrien auf. Beispiele hierfür sind:

  • Produktionsplanung in der Fertigungsindustrie
  • Distributionslogistik und Transport in der Konsumgüterindustrie
  • Personalplanung in Dienstleistungsunternehmen
  • Lagerverwaltung im Großhandel
  • Portfolio-Optimierung im Finanzwesen etc.

Künstliche Intelligenz (KI), Simulationen und Prognosen mit stochastischen Methoden sind weitere Bereiche, die in allen Industrien signifikant von QuantenComputing profitieren könnten.

Was bedeutet die neue Technologie für die Anwender in den Unternehmen?

Hoursanov: Disruptive Veränderungen treten auf der Hardware-Ebene auf, einschließlich der Berechnungseinheiten und des Netzwerks, sowie auf der Unternehmensebene, wo sich dank schnellerer Algorithmen völlig neue Szenarien entwickeln können. Über die Zeit könnten sich durch die grundlegend andere Funktionsweise von Quanten-Computern auch völlig neue Ansätze und Szenarien bis auf die Geschäftsebene entwickeln. Dies hätte dann Auswirkungen nicht nur auf die Hardware- und Systemebene, sondern auch auf die Entwicklung von Anwendungs-Software und die Gestaltung von Geschäftsprozessen. Lassen Sie mich ein Beispiel hierzu geben: Optimierungsaufgaben, wie z. B. das bekannte Travelling-Salesman-Problem, bei dem es darum geht, die Reisestrecke eines Händlers zu verkürzen, werden heutzutage meist durch lineare Optimierung gelöst. Im Quanten-Computing sind diese Optimierungsprobleme – zumindest theoretisch – mit quadratischen Optimierungsansätzen schneller zu lösen. Die Problembeschreibung und -formulierung ist somit eine andere.

Welchen Stellenwert hat das Thema Quanten-Computer aktuell bei SAP?

Hoursanov: Einen hohen, denn der Einsatz von Quanten-Computern bedroht aktuelle Verschlüsselungssysteme. SAP erforscht deshalb Maßnahmen, um rechtzeitig auf einen Angriff reagieren zu können und Kunden wie auch SAP selbst zu schützen. Zusätzlich werden Verbesserungen durch die schnellere Lösung verschiedener Geschäftsprobleme, wie z. B. Lieferkettenoptimierung, erwartet. Hiervon profitieren unsere Kunden, sobald Quanten-Computer leistungsfähig genug sind, um in realen Anwendungsfällen auf Unternehmensebene effizienter als digitale Computer zu sein.

Glossar

Quanten-Computer

Eine Maschine, die Quanten-Phänomene wie Überlagerung (auch Superposition), Verschränkung und Interferenz nutzt, um Berechnungen durchzuführen.

Quanten-Simulator

Ein Quanten-Gerät zur Simulation und Untersuchung von Quanten-Systemen. Nicht zu verwechseln mit einem Simulator für Quanten-Computer: Damit ist eine Software-Anwendung für digitale (Super-) Computer gemeint, die das Verhalten von Quanten-Computern simuliert.

Quanten-Überlegenheit

Überlegenheit von Quanten-Computern gegenüber klassischen Computern bei der Lösung eines komplexen Problems.

Digital Annealer

Ein spezielles klassisches Digitalgerät, das von Quanten-Phänomenen inspiriert ist und diese simuliert.

Wie groß ist die Nachfrage der SAP-Kunden?

Hoursanov: Unsere Kunden informieren sich regelmäßig, wie sich SAP auf den Einsatz von Quanten-Computern und das Bedrohungspotenzial vorbereitet. Häufig entstehen diese Fragen und Bedenken aber durch den Hype des Themas! Daher ist es für sie nicht immer eindeutig nachzuvollziehen, wie weit die Fortschritte in diesem Bereich tatsächlich sind, was der Realität entspricht und was bislang nur Vision ist. Das gilt auch für bestimmte Vorteile: Welche wurden unter Laborbedingungen erzielt und was davon kann in der Wirtschaft tatsächlich genutzt werden? Vereinzelt arbeiten wir mit unseren Kunden und Partnern bereits an exemplarischen Anwendungsfällen, um weiter Erfahrung zu sammeln und bestmöglich vorbereitet zu sein, sobald sich konkrete Vorteile auf Unternehmensebene bieten.

Welche Aufgaben gängiger Super-Computer können Quanten-Computer übernehmen?

Hoursanov: Heutzutage sind die Einsatzszenarien innerhalb des SAP-Produktportfolios noch stark begrenzt. Die Leistung und der Umfang der Probleme, die Quanten-Computer heute bewältigen können, sind verglichen mit traditionellen Computern im Allgemeinen noch nicht wettbewerbsfähig. Die Technologie entwickelt sich im Moment jedoch schnell weiter, und es wird erwartet, dass Quanten-Computer bald praktisch einsetzbar sein werden.

Andrey Hoursanov

Andrey Hoursanov ist Strategy Lead for Quantum Technology beim SAP Innovation Center Network. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit unterschiedlichen Aspekten von Quanten-Technologien, besonders mit Quanten-Computing, Post-Quanten-Kryptographie und Quanten-Kommunikation. Als Security-Experte repräsentiert er SAP zudem in Normungsgremien bei DIN und ISO und ist Mitglied im Quantum Industry Consortium (QuIC) sowie Innovation Council beim The Conference Board.

Wie weit ist SAP und welche Bereiche stehen aktuell im Fokus der Aktivitäten?

Hoursanov: Aktuell konzentrieren wir uns vor allem auf den Aspekt der Sicherheit. Es braucht nicht nur Zeit, quantenresistente Verfahren zu entwickeln, sondern auch, diese hinterher auf Kundenseite korrekt zu implementieren. Wie bereits erwähnt, stellen Quanten-Computer eine Bedrohung für die verbreiteten Kryptosysteme dar. Daher sollten die neu entstehenden alternativen Verfahren im Unternehmenskontext und -größenordnung analysiert werden. Dies sehen wir als eine der wichtigsten Aufgaben an und richten unsere Arbeit darauf aus. Gleichzeitig beobachten wir die Fortschritte in den Quantentechnologien und erforschen potenzielle Anwendungsfelder gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft in zahlreichen internationalen Konsortien.

Wann kommt nun der erste „richtige“ Quanten-Computer? Und für welche Aufgaben?

Hoursanov: „In zehn Jahren“ – das ist seit 30 Jahren die klassische Antwort auf diese Frage. Es gibt bereits heute Quanten-Computer, aber keine praktische Quantenüberlegenheit. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wieviel Qubits hat ein Quanten-Computer, wie lange können die Qubits ihren Quantenzustand halten, wie lange dauert es, die Daten an Quanten-Computer zu übertragen usw. Sehr wahrscheinlich werden die ersten praktischen Aufgaben aus benachbarten Bereichen der Chemie und Physik stammen. In der Quantenkommunikation kann man bereits heute relativ kleine Quanten-Computer gut verwenden, um Daten sicher zu übertragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bildnachweis: SAP SE, shutterstock Autorin

Autorin

Autorin: Sarah Meixner
blaupause-Redaktion
blaupause@dsag.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert