DSAG-Positionspapier 2.0: BW/4HANA

Stand April 2022

Einleitung

Ausgehend von der Frage, warum bisher so wenige SAP-BW-Kunden eine Migration nach BW/4HANA durchgeführt haben, hat die DSAG in einem Positionspapier vom Mai 2021 einiges an Gründen und Ansichten zu diesem Thema zusammengetragen.

Diese zentrale und wichtige Fragestellung wird im Zuge des vorliegenden Positionspapiers kontinuierlich weiterentwickelt und an den Innovationszyklus der entsprechenden Produkte der SAP angepasst. Aufgrund der aktuellen Produktentwicklungen von Seiten der SAP soll hier das Positionspapier vom Mai 2021 ergänzt bzw. überarbeitet werden.

Das vorliegende Dokument konsolidiert wichtige Aspekte entlang dieser Entwicklung und bietet den Mitgliedern der DSAG eine Orientierungshilfe für grundsätzliche Fragestellungen.

Strategische Veränderungen und analytische Vision

Die SAP hat mit der Data Warehouse Cloud (DWC) große Ambitionen und folgt dem schon vor langer Zeit ausgerufenen «Cloud-first» Ansatz. Es ist hier die Entwicklung einer analytischen Lösung zu sehen, die in vielen Bereichen modernen Bedürfnissen wie z.B. Self-Service-BI gerecht werden will. Ebenso ist die DWC nicht mehr in das Korsett der SAP-NetWeaver-Plattform gebunden, was sowohl neue Freiheiten eröffnet aber auch Aufwände bei der Übernahme von Applikationen bedeuten kann. Aufgrund der wesentlichen technischen und konzeptionellen Änderungen sind hier grundlegende Adaptierungsstrategien notwendig.

Aktuell hat die DWC noch nicht das Stadium der Enterprise-Readiness hinreichend bewiesen. Natürlich kann man bei diesem «jungen» SAP-Produkt noch nicht eine vollumfängliche Reife eines SAP BW/4HANA erwarten. Der sachliche – und auch emotionale – Vergleich der beiden Produkte ist nur bedingt zulässig, weil ja allein der disruptive Unterschied im Deployment (On-Premise vs. Cloud) hier schon wesentliche Rahmenbedingungen ändert. Außerdem ist nicht geplant, dass die DWC alle Funktionen des BW/4HANA eingebaut bekommt. Es bleibt also abzuwarten, welche Teile noch implementiert werden und ob die Cloud als Deployment-Plattform selbst die entsprechende Kundenakzeptanz finden wird. Im Augenblick könnten Fragen nach Abhängigkeit von der Infrastruktur anderer Länder diese Position beeinflussen.

Damit hat eine Zeit des Übergangs und der Beobachtung begonnen, die potenziell einige Jahre andauern wird. Es ist stark davon auszugehen, dass absehbar die noch fehlenden teilweise grundlegenden Funktionen in der DWC zur Verfügung gestellt werden. Die SAP sieht die DWC als strategisches Produkt vor. So sollte hier implizit ein umfänglicher Innovationsschub angenommen werden können. Der Blick auf die aktuelle Roadmap für DWC ist vielversprechend.

BW/4HANA: gute und schlechte Nachrichten

Es gilt jetzt hier die Position des SAP BW/4HANA zu bewerten – und natürlich den «Weg» für viele klassische On-Premise Kunden zu SAP BW/4HANA. Zentral ist dabei weiterhin die ursprüngliche Frage:

„Lohnt sich für BW-on-HANA-Kunden die Migration nach BW/4HANA?“

Auf diese Frage gibt es keine einfache und eindeutige Antwort. Wir möchten daher an dieser Stelle einige Argumente auflisten, die dafür oder dagegen sprechen.

Pro-Argumente

Weiterentwicklung

Die SAP hat vor kurzem eine Roadmap für die weiteren Entwicklungen des BW/4HANA vorgelegt (ausführlicher diskutiert im Text weiter unten). Das BW/4HANA ist bewährt, belastbar und mächtig, daher ist es wenig überraschend, dass keine revolutionären Neuerungen auf dieser Roadmap stehen. Aber es geht von kleineren Verbesserungen an vielen Stellen bis zu so wichtigen Themen wie Data Protection (Datenschutz-Grundverordnung) und deren Umsetzung im System. Der wesentliche Punkt ist aber: die Software lebt und wird weiterentwickelt. In einem Release wie SAP BW 7.5 sind keine weiteren Neuerungen zu erwarten. Dieses Release ist inhaltlich zum Stillstand gekommen und darin dauerhaft zu verharren, um auf eine feature-komplette DWC zu warten, kann Risiken mit sich bringen.

Bereits vorhandene neue Features

Nicht vergessen sollte man, dass BW/4HANA bereits einige Features mehr als BW 7.5 hat, die einen Wechsel rechtfertigen. Was ein wichtiges Feature ist, kann natürlich für jeden Kunden anders sein. Aber die unbeschränktere Modellierung im HCPR zusammen mit berechneten Spalten, Projektions- und Aggregationsknoten machen die Umwege über CalculationViews häufig unnötig. Das einfache Hochladen von Files direkt in ein ADSO erspart manche File-Datasource plus Datenfluss. Das Data Tiering ist wesentlich einfacher und insbesondere ist das Auslagern von Warm-Daten aus dem Arbeitsspeicher einfach und hilfreich gegen Datenwachstum. Info-Objekte wurden z.B. mit erweitertem Stammdatenhandling mit einer Rollback-Funktion versehen. Das Write-Interface-ADSO ermöglicht neue einfache Wege, um Daten ins System zu bekommen. Ebenfalls sollte betont werden, dass die für BW/4HANA benötigten Kenntnisse (ABAP, SQLscript) größtenteils bereits bei den entsprechenden BW-Entwicklern vorhanden sind und keine neuen (wie z.B. Python) erworben werden müssen.

Wartungszusage

SAP gibt eine Wartungszusage für BW/4HANA bis 2040. Der Begriff „Wartungsmodus eines Produkts“ ist seltsamerweise häufig ein Synonym für „Das Produkt ist tot“. Das ist sachlich unangemessen. Viele Produkte im Wartungsmodus erfreuen sich reger Benutzung. Umgekehrt kann man die Frage stellen, welche umwälzenden Neuerungen müssten noch für BW/4HANA programmiert werden? Die Antworten auf diese Frage bestehen tatsächlich meist aus Features, die zur stetigen Verbesserung zählen und nicht zur großen Innovation.

Der Zeitraum bis 2040 ermöglicht auch die Option, gewisse Entwicklungen entspannt zu beobachten. Vielleicht ist der oder die eine oder andere nicht so wirklich davon überzeugt, dass die Cloud die Zukunft ist, und spekuliert auf eine ideologische Renaissance des „On-Premise“-Gedankens. Es wäre ja möglich, dass durch einen „Act of God“ (= SAP-Vorstandsentscheidung) das BW/4HANA doch noch länger als 2040 weiterentwickelt wird. Mit dem Release BW/4HANA ist die Option gegeben, die Gesamtsituation in ein paar Jahren nochmal in Ruhe neu zu bewerten.

SAP BW Bridge

Die SAP hat ein neues Tool vorgestellt, die SAP BW Bridge. Sie wird weiter unten im Text noch einmal ausführlicher diskutiert. Die SAP BW Bridge bietet u.a. folgende Features:

Die SAP BW Bridge läuft in der Cloud und besteht technisch aus gewissen Teilen eines BW/4HANA-Systems. Es ist aber kein «BW/4HANA-System in der Cloud» und soll es auch nicht sein. Zum Beispiel bietet es keine analytische Engine (OLAP), keine Queries und keinen SAP GUI-Zugriff. Enthalten sind aber z. B. Datenflüsse von der DataSource bis zum HANA Composite Provider (HCPR).

  1. Klassische Extraktoren von SAP ERP oder S/4HANA-Systemen werden durch die Bridge der DWC zugänglich. Sie waren es bisher nicht, da die DWC auf «Remote Tables» aufbaut. Die Bridge kann nun klassisch extrahieren (und damit die komplexe Logik von Extraktoren nutzen) und selbst die Daten per ADSO oder HCPR (und damit als Remote Table) anbieten. Aktuell gibt es aber bei Änderungen des Datenmodells keine automatischen Aktualisierungen der dazugehörigen Artefakte in der DWC.
  2. Innerhalb der Bridge können Datenflüsse die Delta-Fähigkeiten der BW-Requestverwaltung nutzen. Durch die Delta-Berechnungen können Datenflüsse natürlich immens beschleunigt werden im Vergleich zu Full-Loads.
  3. Höhere Schichten der Architektur wie ADSOs und HCPRs können in die DWC migriert werden.

Mit Hilfe der SAP BW Bridge ist es also möglich, Investitionen in die Datenmodelle in die DWC zu übernehmen.

Diese Möglichkeiten gibt es zwar auch für die Releases SAP BW 7.x, aber wenn man den Weg nach BW/4HANA schon gegangen ist, ist zu erwarten, dass die Migration in die SAP BW Bridge einfacher sein wird.

Contra-Argumente

  1. Die Migration von SAP BW on HANA nach BW/4HANA ist ein aufwändiger Umbau. Dieser nicht unerhebliche Kostenfaktor muss gegen die oben genannten Pro-Argumente gehalten werden.
  2. Auch wenn nun eine neue Roadmap vorliegt und die Wartungszusage bis 2040 besteht, so ist doch nicht zu ignorieren, dass große Neuerungen im BW/4HANA nicht mehr abzusehen sind. Aus SAP-Sicht ist die grundlegende Architektur des BW an ihre Grenzen gekommen und moderne Anforderungen in der Software sind nicht mehr oder nicht mit vernünftigem Aufwand realisierbar.
  3. Es ist leider nicht zu erwarten, dass das bunte Potpourri aus Entwicklungstools (SAP GUI, SAP HANA Studio, Browser, webIDE) reduziert wird.
  4. «Als Gott etwas besonders Tolles erschaffen wollte, da schuf er die Funktionalitäten der SAP-Software. Dann kam der Teufel und erschuf das Lizenzmodell.»

Das Lizenzmodell im Umfeld von BW/4HANA ist weiterhin in vielerlei Hinsicht intransparent. Die Kosten nach einer BW/4HANA-Migration sind durch geänderte Grundlagen, aber auch durch Planung und Frontend, nicht immer absehbar und daher manchmal höher als vorher. Auch die SAP BW Bridge leistet hier einen Beitrag. Sie ist nicht im Sinne eines Migrationstools in der BW-Lizenz enthalten, sondern sie muss im Rahmen der DWC-Lizenz als zusätzliches Feature lizenziert werden. Solch drohende Zusatzkosten schrecken dann wieder von einer BW/4HANA-Migration ab.

Die SAP hat hier Spielraum durch geschickte Lizenzen bzw. Bundles lenkend einzugreifen. Neue Roadmap für BW/4HANA

Hält man die Feature-Requests der DSAG vom November 2021 der neuen Roadmap gegenüber, fällt besonders ins Auge, dass es einige der Anforderungen prominent und zeitnah auf die Roadmap geschafft haben. Beispielsweise sind Erweiterungen zu Data Protection, beim Datenzugriff über REST bzw. oData APIs sowie eine Verbesserung der SAC-Integration als Live-Connection schon für das zweite Halbjahr 2022 geplant. Erste Roll-Ins dazu haben sogar schon mit Kunden stattgefunden.

Am Beispiel der Verbesserung der SAC-Integration wird aber deutlich, dass es nicht ausreicht, ein kleines Feature des Kontexts in die Roadmap aufzunehmen, um damit unserem Feature Request einer ernsthaften Verbesserung der Integration gerecht zu werden. Fairerweise muss man hier zwar erwähnen, dass zu diesem Punkt auch eher die SAC-Entwicklung zu adressieren wäre und es sich weniger um fehlende BW/4HANA-Funktionalitäten handelt. Die SAP müsste beginnen, die Limitierungsliste bei der Live-Connection von BW ernsthaft abzuarbeiten.

Zur nachvollziehbaren Dokumentation und Steuerung dieser und weiterer Feature Requests würden wir eine Customer-Influence-Sektion empfehlen. Neben den oben erwähnten nicht hinreichenden Lösungen sollten im Rahmen von regelmäßigen Treffen auch die relativ vielen und kleinteiligen Anforderungen zu Usability (Eclipse/HANA-Studio und den Web-Tools) abgearbeitet werden. So könnte die SAP ihre Änderungen präsentieren und direkte Rückmeldung von den Kunden dazu bekommen. Damit würde ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess mit Rückkopplung durch den Anwender ermöglicht werden.

Bei den angegangenen und geplanten Erweiterungen zur Datenintegration im Hinblick auf die Offenheit des Systems sehen wir durchaus das Potenzial, das BW/4HANA auch weiterhin als zentrales Data Warehouse und Datendrehscheibe zu etablieren.

Die BW-Bridge

Die SAP positioniert SAP Data Warehouse Cloud (DWC) als die strategische Lösung für alle Data-Warehouse-Anwendungsfälle.

Da stellt sich die Frage, wie SAP-BW-Bestandskunden ihre bereits getätigten Investitionen möglichst „reibungslos“ und „aufwandsarm“ in die DWC überführen können.

Die von der SAP neu angebotene SAP BW Bridge ist eine Funktion innerhalb der DWC für Kunden, die ein SAP Business Warehouse (BW) oder SAP BW/4HANA einsetzen, und einen Weg zur DWC einschlagen möchten. So können sie der SAP-Strategie folgen bzw. haben sie die Möglichkeiten, die DWC in ihrer BI-Architektur zu nutzen.

Mit dieser Funktionalität reagiert die SAP auf den Wunsch von Kunden und des AK Business Analytics der DSAG die bewährte SAP-BW-Funktionalität für die Datenintegration und -bereitstellung inklusive kundenspezifischem ABAP-Code in der DWC nutzen zu können.

Die SAP BW Bridge ermöglicht BW-Kunden, ihre bestehenden Modelle, Transformationen und kundenspezifisches Customizing in der DWC wiederzuverwenden, um so die Implementierungszeit zu verkürzen und von der bereits vorhandenen Erfahrung mit SAP BW zu profitieren. Mit der SAP BW Bridge können sich die BI-Teams mit bekannten Werkzeugen vergleichsweise einfach und schnell mit ihren SAP-Business-Suite-Anwendungen verbinden und gleichzeitig ihre Datenstrategie entsprechend um neue Datenquellen erweitern – agil und in der Public Cloud.

Um die Integration mit SAP ERP On-Premise-Systemen zu verbessern, ermöglicht es die SAP BW Bridge, ABAP-basierte Datenextraktionsfunktionen und Transformationen innerhalb der DWC zu nutzen und wiederzuverwenden.

Eine Tool-unterstützte Conversion/Migration bestehender SAP BW und SAP BW/4HANA-Staging-Szenarien zur SAP BW Bridge ermöglicht eine nahtlose Übertragung bestehender ETL-Prozesse in einen dedizierten SAP BW Bridge Space in der DWC. Hier können die umfangreichen Funktionen von bekannten ODP-Extraktoren und ABAP-Code innerhalb der SAP-Business-Technology-Plattform (SAP BTP) genutzt werden.

Bezüglich der SAP BW Bridge sind aber viele Fragen noch offen. Es liegen noch sehr wenig praktische Erfahrungen mit dem Tool in einen produktiven Unternehmenskontext vor. In diesem Kontext stellen sich u. a. die Fragen: wie soll die Transportlandschaft aussehen, wie verhalten sich Modell-Transfer und Query-Transfer zueinander, kann man mit dem fehlenden SAP GUI-Zugang leben, usw.

Unser Fazit

Nimmt man die These ernst, dass die Zukunft des Data Warehousings in der Cloud stattfindet, dann muss man der Wahrheit ins Auge sehen: sowohl BW on HANA als auch BW/4HANA sind nur mehr oder weniger langanhaltende Zwischen- oder Übergangslösungen. Vor diesem Hintergrund ist nicht mehr mit großen Entwicklungen oder gar Entwicklungssprüngen in der On-Premise Welt zu rechnen. Im Gegenteil sollten die Kunden, die ihren Weg weiter mit SAP gehen wollen, regelrecht fordern, dass alle Entwicklungskapazitäten in die Cloud-Lösungen gehen, um diese Enterprise-ready zu bekommen.

Unser Positionspapier hat darauf hingewiesen, dass sich die Bestandskunden alleingelassen fühlen und für den Wechsel ihrer oft über Jahre gewachsene Lösungen in die Cloud auf wenig Unterstützung durch die SAP hoffen konnten. Die SAP BW Bridge zeigt in diesem Zusammenhang einen technischen Weg von der On-Premise Welt in die Cloud auf. Zugleich wird für die Entscheidung zwischen BW/4HANA und DWC ein größeres Zeitfenster ermöglicht. Aber es können schon jetzt Schlüsse auf die zukünftigen konzeptionellen Lösungen und konkreten Datenmodellierungen gezogen werden.

Für viele Kunden wäre zur Zeit der Weg in oder über das BW/4HANA die richtige Entscheidung, aber die Kosten dafür hindern sie daran. Hier sollte die SAP sowohl technisch als auch lizenz-technisch zu helfen versuchen.

Momentan mangelt es auch an einer Gesamtübersicht über die analytische Vision der SAP. Wann empfiehlt SAP noch BW/4HANA, wann die DWC, wann hybride Szenarien, wie sieht es für Neukunden aus, wie für Bestandskunden? Ein entsprechender Entscheidungsbaum von Seiten SAP wäre hilfreich, um besser zu begreifen, wohin die Entwicklung aus Sicht der SAP geht. Auch hier kann die SAP auf unsere Unterstützung zählen.